#nachKöln ist alles auf Anfang oder (post-)kolonialer Feminismus trifft Laizismus
von Silvia Horsch, Februar 2016
Die Leitung der TU Dortmund schließt einen Raum der Stille und die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Niedersachsen fordern die Landesregierung auf, die Verhandlungen zum Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden auf Eis zu legen. Ein Argument in beiden Fällen: die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Diese zwei Meldungen stehen symptomatisch für eine neue Verschärfung des Diskurses über den Islam in den letzten Wochen.
Neben dem gemeinsamen Verweis auf die Gleichberechtigung fallen weitere Parallelen auf. Erstens: Das vollständige Fehlen eines Austausches mit den Betroffenen. Die Leitung der TU verwehrt den Studierenden schon seit Längerem die Gründung einer muslimischen Hochschulgruppe und antwortet auf Kritik an der Schließung mit einem öffentlichen Brief, in dem sie über das Grundgesetz belehrt. Die Gleichstellungsbeauftragten befinden über eine zweifelhafte Einstellung der Verbände zur Gleichberechtigung ohne mit ihnen oder auch nur ihren weiblichen Vertretern gesprochen zu haben.
Und zweitens: der Zeitpunkt. Das Land Niedersachsen verhandelt mit den Verbänden seit zwei Jahren. Warum jetzt die Forderung nach einem Stopp der Gespräche? Der Raum der Stille besteht an der TU Dortmund seit 2012. Warum jetzt die Schließung? Und zwar ohne, dass dem für den Raum verantwortlichen ASTA Beschwerden vorlagen, auf die er hätte reagieren können?
Es ist die Zeit #nachKöln: Die bandenmäßig eingesetzte sexualisierte Gewalt wurde in der nachfolgenden öffentlichen und medialen Debatte zu einem Merkmal erst der arabischen Kultur, dann des Islams. Während uns die Tatsache, dass 25% der Frauen in Deutschland Gewalt durch gegenwärtige oder frühere Partner erfahren haben, nicht über „den deutschen“ oder „den christlichen“ Mann diskutieren lässt, wird in Bezug auf Flüchtlinge, Araber und Muslime #nachKöln jede Differenzierung von einem „aber“ verfolgt. Dass bei muslimischen Verbänden Zweifel bestehen, ob sie „wirklich die Gleichberechtigung von Frauen und Männern zum Ziel haben“, muss man in diesen Tagen nicht belegen, und individuelle muslimische Studierende, die Frauen diskriminieren, repräsentieren umstandslos die gesamte muslimische Studierendenschaft. Ignoriert wird, dass diskriminierende Praktiken auch von Muslimen kritisiert werden, z.B. von uns (http://www.nafisa.de/frau-und-islam/gegen-die-wand/). Die seit Jahrhunderten bestehenden Stereotype vom muslimischen Mann, der seine Sexualität nicht unter Kontrolle hat, und der befreiungsbedürftigen muslimischen Frau werden ein weiteres Mal aktualisiert – und von interessierten Kreisen für ihre Zwecke eingesetzt.
Ein Muster, das spätestens seit der Kolonialzeit bekannt ist: Lord Cromer, der faktische Herrscher über Ägypten von 1883 bis 1907, setzte sich für die Entschleierung der muslimischen Frau zum Zweck ihrer Befreiung ein, gleichzeitig schränkte er höhere Bildung für ägyptische Frauen ein, verbot ihnen z.B. die Ausbildung zur Ärztin, und war zu Hause in England Vorsitzender eines Vereins gegen das Wahlrecht von Frauen. Es ging nicht um Befreiung, es ging um Anpassung an das eigene Modell.
Das Rektorat der TU Dortmund möchte seine Studentinnen vor Diskriminierung schützen und verunmöglicht ihnen zu diesem Zweck das Gebet: Berichten zufolge werden betende Studierende, Frauen wie Männer, jetzt auch aus den Treppenhäusern verscheucht. Auch 2016 geht es nicht um Befreiung (von Diskriminierung), sondern um Anpassung (an ein laizistisches Verständnis von Religion, das sichtbare Formen der Religionsausübung außerhalb der eigenen vier Wände nicht zulassen will).
Und die niedersächsischen Gleichstellungbeauftragten „befreien“ muslimische Frauen durch einen Angriff auf die Organisationen, die auch ihre Interessen vertreten. In den Verhandlungen zum Staatsvertrag ging es z.B. auch um die Einstellung kopftuchtragender Lehrerinnen in den Schuldienst – Lehrerinnen, denen die gleichen Gleichstellungsbeauftragten sehr skeptisch gegenüber stehen. Auch hier geht es nicht um Befreiung, sondern um Anpassung – und um die Sicherung von Privilegien, denn wie die 2015 verstorbene Psychologin Birgit Rommelspacher richtig festgestellt hat, geht es in der Kopftuchdebatte auch um Konkurrenzverhältnisse zwischen alt eingesessenen und neu hinzugekommenen Frauen.
Während im 19. Jahrhundert der koloniale Feminismus die Kontrolle der einheimischen Bevölkerung zum Ziel hatte, versuchen derzeit im Windschatten der erneut intensivierten, mittlerweile schon als hysterisch zu bezeichnenden Debatte über den Islam interessierte Kreise eine laizistische Agenda voranzubringen. So kritisieren die Gleichstellungbeauftragten auch Gebetsmöglichkeiten an Schulen mit Verweis auf die Gefährdung der Neutralität der Schule.
Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität, so betonte das Bundesverfassungsgericht bereits 2003, ist „nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch in positivem Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.“ Dies ist ein ausgewogenes, gesundes Verständnis von Neutralität, das – Gott sei Dank – auch an vielen Universitäten und anderen Einrichtungen praktiziert wird.
Gegen eine Diskussion über das Verhältnis von Staat und Religion wäre an sich nichts einzuwenden, und es bleibt jedem und jeder unbenommen, laizistische Positionen zu vertreten. Die Diskursmacht der Beteiligten könnte allerdings unterschiedlicher kaum sein: Die Unileitung der TU Dortmund lässt ihre Sicht der Dinge über die Presse verlautbaren, welche ihrerseits ebenso wenig an der Sicht der Betroffenen interessiert ist – ca. 70 (!) Artikel sind zum Raum der Stille bisher in regionalen und überregionalen Medien erschienen, die fast ausnahmslos die Sicht der Unileitung wiedergeben. Die Sicht der Studierenden findet sich dagegen nur in einer Studierendenzeitschrift (http://www.pflichtlektuere.com/10/02/2016/raum-der-stille-geschlossen/2/), einem Bericht des Rats muslimischer Studierender und Akademiker (RAMSA, http://www.ramsa-deutschland.org/stimmen/zur-schliessung-des-raumes-der-...) und muslimischen Medien.
Eine Universitätsleitung sollte bei Problemen an einem lösungsorientierten Dialog mit ihren Studierenden und Gleichstellungsbeauftragte an der Sicht von Frauen interessiert sein – aber wozu sich mit Menschen abgeben, wenn man die Macht hat, die eigene Position einfach durchzusetzen? Gleichberechtigung als Argument zu verwenden, um muslimische Religionsausübung zu erschweren und muslimische Organisationen in Misskredit zu bringen, ist zynische Instrumentalisierung. Auf diese Art von Befreiung verzichten wir dankend.