Weibliche islamische Gelehrte

von Kathrin Klausing

1. Frauen als islamische Gelehrte?
2. Nützliche Quellen für die Erforschung weiblicher Biographien
3. Schlussfolgerungen aus neuerer historischer Forschung
4. Auswahl an Biographien einiger weiblicher Gelehrter
4.1. Muhaddithat (Hadithgelehrte)
4.2. Faqihat
4.3. Muftiyat
4.4. Wa’izat (Predigerinnen)
4.5. Sufiyat
5. Literatur

1. Frauen als islamische Gelehrte?

Frauen hatten – im Gegensatz zur heutigen Wahrnehmung – in mittelalterlichen muslimischen Gesellschaften die Fähigkeit und Qualifikation religiöse Unterweisungen auszuführen und genossen ein ihren Qualifikationen gemäßes Ansehen unter beiden Geschlechtern.

Gleichzeitig führten sie diese Funktionen nur auf einer informellen Ebene aus – nämlich in Häusern und Moscheen – und waren nicht in irgendeiner Form in staatliche und andere offizielle Ämter eingebunden. Positionen in öffentlichen Institutionen, die meistens einem Herrscher, Minister oder Prinzen unterstanden und von diesen Personenkreisen gegründet und kontrolliert wurden, waren nur Männern zugänglich. Dies hat dazu geführt, dass mit der fortschreitenden Bürokratisierung religiöser Ämter (wie etwa im osmanischen Reich) Frauen – ohnehin in der Minderheit in religiös-gelehrten Kreisen – völlig aus diesen Professionen verschwanden. Meiner Beobachtung nach ändert(e) sich dieser Misstand in den modernen muslimischen Gesellschaften zwar, jedoch ist in diesem Bereich noch viel zu tun.

Das System des Lernens beruhte auf einer direkten Beziehung zwischen Lehrer und Student. Im 11. Jahrhundert entstand und verbreitete sich die Institution der madrasa (Schulen mit Lehrern, die auch Gehälter für ihre Arbeit erhielten). Neben diesen Schulen blieben jedoch die Wohnhäuser von Gelehrten und Moscheen wichtige Orte zur Verbreitung von Wissen innerhalb gelehrter Zirkel. Die Aufnahme in einen solchen Zirkel war bestimmt durch Prüfungen und Bewertungen des Lehrers durch die Studenten selber. Dieses System wurde auch auf Frauen angewandt, die in diese Profession eintreten wollten. Ihre Arbeit in dem Feld der Hadithwissenschaft beispielsweise musste sie auch mit anderen Zweigen dieser Wissenschaft in Verbindung gebracht haben wie Geschichte, Logik, Literatur, Ethik und Philosophie.

Der Prozess des Lernens verlief in vier Stufen:

1. Das Rezitieren des relevanten Textes vor den Studenten.
2. Das Rezitieren als Wiederholung durch die Studenten mit abschließender Korrektur des Lehrers.
3. Dann durfte der Student die Kommentare des Lehrers aufschreiben.
4. Nach bestandener Prüfung erteilte der Lehrer dem Studenten eine Ijaza.

2. Nützliche Quellen für die Erforschung weiblicher Biographien

Zwei Geschichtswerke, die bei der Suche nach Biographien weiblicher Gelehrter hilfreich sind, werden hier kurz vorgestellt. Zu ersten ist dies ad-Durar al-Kamina fi A’yan al-Mi’a ath-Thamina von Ibn Hajar al-’Asqalani (1372–1448/9) und zum zweiten ad-Daw’ al-Lami’ li-Ahl al-Qarn at-Tasi’ von Shams ad-Din as-Sakhawi (1428-97). Hierbei handelt es sich um Personenlexika aus zwei Jahrhunderten – dem 14. und dem 15. –, welche die bedeutenden männlichen und weiblichen Figuren der Mittel- und Oberklasse aus Kairo, Mekka, dem Sham (Bilad ash-Sham bezeichnet das Territorium der heutigen Länder Syrien, Israel, Palästina, Libanon) und teilweise dem Jemen aufzeichnet. Bei dem Werk as-Sakhawis handelt es sich um ein 12-bändiges Lexikon, dessen letzter Band ausschließlich Frauen gewidmet ist. Darin sind 1025 Frauenbiographien aus der Zeit des Autors enthalten: hauptsächlich muhaddithat (Hadithgelehrte), Verwandte des Herrschers und berühmte Dichterinnen, Sängerinnen und auch Hebammen.

Ibn Hajar selbst verweist auf 53 weibliche Gelehrte, bei denen er studierte, und as-Sakhawi gibt an, solche Zertifikate (Ijaza) von insgesamt 68 weiblichen Hadithgelehrten erhalten zu haben. Bemerkenswert sind auch die Charakterisierungen der aufgezeichneten weiblichen Hadithgelehrten bei Ibn Hajar mit Beschreibungen wie „sie war in ihrem Denken rational“ oder „verstand Fiqh sehr gut“. Detaillierter geschieht das noch bei as-Sakhawi, der verschiedene weibliche Hadithgelehrte beschreibt als Gelehrte „die durch Verstand und eine führende Position charakterisiert wurde”, “die vielen ehrenvollen Gelehrten Hadithe beibrachte und über Wissen, Erfahrung und ehrbares Verhalten verfügte”. Über eine Kairoer Gelehrte schreibt derselbe: „viele Imame erhielten gelehrte Unterweisung von ihr, und ihre Studenten erhielten umfangreichen Unterricht, denn sie war eine gute und freundliche Frau mit großem Verständnis und Wissen über die Sira, Hadithwerke und Poesie.” Andere Titel neben dem der Shaykha waren Sitt al-Fuqaha (Dame der Juristen), Sitt al-Quda’ (Dame der Richter). Auch scheint es so gewesen zu sein, dass aufgrund ihrer Bekanntheit einige der Frauen viel umherreisten, so dass eine Frau beispielsweise in Kairo, Jerusalem und Damaskus unterrichten konnte. Weibliche Gelehrte gehörten, wie ihre männlichen Kollegen, zumeist einer Elite von religiösen Gelehrten und Juristen an und kamen auch meistens aus derartigen Familien. Ein Mittel der Kommunikation war das Schreiben von Briefen unter den Gelehrten, woran sich auch Frauen beteiligten. In den oben erwähnten Geschichtswerken ist die Rede von Büchern, die von weiblichen Gelehrten zu ihren jeweiligen Spezialgebieten verfasst worden sein sollen. Uns blieb jedoch keines dieser Werke bis heute erhalten.

3. Schlussfolgerungen aus neuerer historischer Forschung

Neue historische Studien und deren Ergebnisse stellen die Annahme in Frage, dass ausschließlich die Moderne für die wahre Befreiung der Frau verantwortlich ist. Das Gegensatzpaar Tradition/Rückständigkeit vs. Moderne/Fortschritt kann durch entsprechende Forschungsergebnisse korrigiert werden. Eine weitere Konsequenz ist die Aushebelung der Argumentation anti-westlicher Haltungen, die gegen eine Arbeitstätigkeit der Frau im öffentlichen Raum argumentieren. Diese Argumentation beruht vorrangig auf der Annahme, dass das Phänomen weiblicher Berufstätigkeit außerhalb des Hauses einem wie auch immer gearteten islamischen System völlig fremd sei und erst vom Westen via Kolonialisierung importiert wurde. Die bis heute ausgewerteten Quellen stellen jedoch keinesfalls allseits die authentischen Lebensumstände von Frauen dar. Sie reflektieren jedoch zumindest bestimmte soziale und kulturelle Haltungen, die ihnen als arbeitenden Frauen oder Expertinnen in bestimmten Gebieten entgegengebracht wurden. Eine Fülle von Frauen sind bereits auch einem breiteren Publikum aus den ersten beiden Generationen der neuen islamischen Gemeinde als Übermittlerinnen und Bewahrerinnen der Hadithe über den Propheten Muhammad (saws) bekannt. In diesem Text sollen allerdings Frauen ein Rolle spielen, die dem Normalmuslim wenig sagen. Zumal es auch in deutscher Sprache sehr wenig Literatur zum Thema gibt. Dabei erfolgte die Auswahl nur nach meinem eigenen Interesse und ist nicht repräsentativ.

Die unten angeführten Beispiele zeigen, dass es Frauen gab, die anerkannte religiöse Autoritäten waren. Dennoch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Präsenz solcher hochausgebildeter Frauen in hohen offiziellen Ämtern fehlte. Die Existenz solcher Frauen war aber kein Problem im Sinne religiös-rechtlicher, sozialer und qualifikatorischer Akzeptanz.

Die Geschichte dieser Frauen zeigt, dass nicht der Islam sie an der Ausübung einer hochspezialisierten Profession hinderte. Des Weiteren wurden sie als religiöse Autoritäten respektiert und agierten auf der gleichen Ebene mit Männern. Um aber einer Apologetik vorzubeugen – nach dem Motto: “Der Islam unterdrückt die Frauen nicht, legen wir also die Hände in den Schoß und verschließen die Augen vor realen Misständen!” – sollten wir uns fragen: warum wurden/werden Frauen tatsächlich von offiziellen Ämtern ausgeschlossen und warum stellt die Teilhabe an der offiziellen religiösen Sphäre und in führenden Positionen bis heute ein Problem dar?

4. Auswahl an Biographien einiger weiblicher Gelehrter

4.1. Muhaddithat (Hadithgelehrte)

Shuhda bint Abi Nasr Ahmad al-Ibari (gest. 574/1178) wird als eine der besten Gelehrten ihrer Zeit bezeichnet. Sie lehrte Bukhari und andere Hadithwerke und hatte eine große Anzahl von Schülern in Bagdad. Sie war mit einem wohlhabenden Mann verheiratet, der wohl eher eine Art Politiker als Gelehrter war. Sie war unter den Namen “al-Katiba” (die Schreiberin) aufgrund ihrer Kalligrafiekünste und “Fakhr an-Nisa’” (Ruhm der Frauen) bekannt. Sie ist auch ein Beispiel dafür, dass Frauen Kontakt zu einem weiteren Publikum hatten. Shaykha Shuhda wird bei Ibn Khallikan folgendermaßen beschrieben: „Shuhda gehörte zu der Art Gelehrter, die auch über eine sehr gute Handschrift verfügten. Viele Leute “hörten” und lernten von ihr (sam’ ‘alayha khalq kathir). Sie hatte deshalb eine große Anhängerschaft und ihr Publikum bestand aus Jungen und Alten. Sie wurde sehr bekannt und ihre Berühmtheit sprach sich weit herum.”

Umm ad-Darda’ ad-Dimishqiyya (gest. 81/700) soll die herausragendste Hadithgelehrte ihrer Zeit gewesen sein. Sie war eine Waise und wurde von Abu ad-Darda’ (ra) aufgenommen. Als sie später unterrichtete, tat sie dies je ein halbes Jahr in Damaskus und eine halbes Jahr in Jerusalem. Der Umayyaden Kalif ‘Abd al-Malik ibn Marwan lernte von ihr. Immer wenn der Adhan ertönte ging er zur Moschee während sie sich auf ihn stütze. Sie sagte den Leuten: “Bringt euren Kindern Weisheit bei, so dass sie danach handeln können wenn sie erwachsen sind. Jeder erntet was er sät, sei es Gutes oder Schlechtes.”

4.2. Faqihat

‘Aisha bint ‘Ali (761-840/ 1359-1336) war eine hanbalitische Gelehrte aus Kairo. Sie lernte zunächst von ihrem Großvater und erhielt später auch Lizenzen (Ijaza) von anderen Gelehrten aus Syrien und Ägypten. Außer dem Quran studierte sie Kalligrafie, Geschichte, Sira, Poesie und Recht. Unter ihren Studenten waren Ibn Hajar al-Asqalani, der sie für ihre ausgezeichnete Schrift rühmte und al-Maqrizi, der sie für ihren Verstand, ihr Gedächtnis und ihren Intellekt hoch lobte.

Nafisa bint al-Hasan (145-208/ 762-824) ist die Großenkelin des Propheten (saws) und die Tochter von al-Hasan ibn ‘Ali (ra). Sie kannte den Quran auswendig und kannte sich auch im Kommentieren des Qurans (Tafsir) aus und in rechtlichen Fragen. Sie wuchs in Medina auf und zog später, nach ihrer Eheschließung mit Ishaq ibn Ja’far, nach Fustat in Ägypten. Sie hielt öffentlichen Unterricht, an dem auch Imam ash-Shafi’i, Dhu an-Nun al-Misri, Abu Bakr al-Adfawi und as-Samarqandi teilnahmen. In seinem letzten Willen verfügte ash-Shafi’i, dass seine Totenbahre auf dem Weg zum Friedhof an ihrem Haus innehielt.

Umm al-’Izz Nudar bint Ahmad (702-730/1302-1329) war die Tochter einer gelehrten Frau und studierte mit den Shaykhs von Kairo. Ihre Frömmigkeit und ihr Wissen über das islamische Recht soll das der meisten Männer übertroffen haben. Sie war auch für ihre Schönheit und Anmut bekannt. Ihr Vater bewahrte ihre Gedichte auf und beklagte häufig die Tatsache, dass ihr Bruder nicht wie sie war.

Umm Hani Maryam (778-871/ 1376-1466) wurde in eine Gelehrtenfamilie aus Kairo hineingeboren. Sie studierte bei mindestens neun Lehrern in Mekka und Kairo und erhielt von mindestens zwölf anderen eine Ijaza. In ihrer Jugend lernte sie den Quran auswendig, studierte Kalam, Recht, Geschicht, Gammtik und den größten Teil der sechs Hadithsammlungen (besonders al-Bukhari). Sie hatte vier Söhne, von denen jeder sich in einer der vier Rechtschulen (madhhab) spezialisierte. Sie verwaltete außerdem größere Stiftungsgrundstücke (waqf).

4.3. Muftiyat

Amat al-Wahid (gest. 77/987) studierte mit ihrem Vater, dem Richter ‘Abdallah al-Husayn al-Muhamili und anderen Lehrern. Sie ist eine der wenigen Frauen aus Bagdad, die rechtliche Gutachten (fatawa) erstellte. Nachdem sie den Quran auswendig gelernt hatte, widmete sie sich dem Studium der Jurisprudenz anhand der shafi’itischen Schule. Ihr Spezialgebiet waren die komplexen Erbschaftsregelungen und der Kalkulation von Erbanteilen. Sie erstellte rechtliche Gutachten zusammen mit einem männlichen Mufti.

Fatima as-Samarqandiyya (6/12. Jahrhundert) studierte mit ihrem Vater das hanafitische Recht. Rechtliche Entscheidungen wurden unter beiden Namen veröffentlicht. Sie heiratete einen Schüler ihres Vaters, der für eine Abhandlung über rechtliche Neuerungen bekannt war: ‘Ala ad-Din al-Kasani. Ungeachtet seiner Fähigkeiten korrigierte Fatima die Fehler in seinen rechtlichen Abhandlungen.

4.4. Wa’izat (Predigerinnen)

Zaynab Fatima bint ‘Abbas (gest. 714/1314) war eine Dichterin und Predigerin, die ein tiefes Wissen über das islamische Recht besaß. Sie predigte vor Frauen in Damaskus und Kairo und widmete sich ihr Leben lang dem Studium des Rechts. Sie wurde mehr als 80 Jahre alt.

4.5. Sufiyat

‘Aisha bint ‘Imran bint Sulayman as-Siddiq (gest. 665/1481) aus Mannuba, Tunesien, war bekannt für ihre Wohltätigkeit den Armen gegenüber. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt mit dem Spinnen von Wolle und gab den größten Teil davon an Arme weiter. Von ihr wird berichtet, dass sie, wenn sie des Nachts einen Dirham in ihrer Tasche fand, den sie nicht weitergegeben hatte, sagte: “Heute Nacht ist mein Gottesdienst fehlerhaft.” Verschiedene Aussprüche von ihr wurden gesammelt, darunter einer: “Es liegt nichts Gutes im Dhikr der Zunge, wenn das Herz nicht anwesend ist.”

Über Fatima an-Nisaburiyya (gest. 849 n.Chr.) erfahren wir durch zeitgenössische Sufimeister, mit denen sie Austausch über religiöse Angelegenheiten pflegte. Dhu an-Nun al-Misri nannte sie eine “wahre Mystikerin” und “seine Lehrerin”. Abu Yazid Bistami sagt über sie: “In meinem ganzen Leben kannte ich nur eine wahre Frau: Fatima.” Er berichtet auch über seine Überraschung darüber, dass sie schon alle spirituellen Stationen des Sufi-Weges erfahren hatte, noch bevor er mit ihr darüber sprach. Sie lebte in der Nähe von Mekka und besuchte des öfteren Jerusalem. Sie starb während der kleinen Pilgerfahrt (’Umra).

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Verwendete Literatur (Auswahl):

Abou-Bakr, Omaima / as-Sa’di, Huda (2001): Awraq adh-Dhakira: al-Mar’a wa al-hayat ad-Diniyya fi al-’Usuur al-Wusa bayna al-Islam wal-Gharb. Nr. 2. Kairo: Multaqa al-Mar’a wa adh-Dhakira.

Abou-Bakr, Omaima (2003): Teaching the Words of the Prophet: Women instructors of the Hadith (Fourteenth and Fifteenth centuries). IN: HAWWA – Journal of women of the Middle East and the Islamic World. Jg.1, Nr. 3. Leiden: Brill. S. 306–328.

Bewley, Aisha (2004): Muslim Women – A biographical Dictionary. London: Ta-Ha Publishers.

Kahhala, ‘Umar Rida (1991): A’lam an-Nisa’. 10. Auflage. Beirut: Mu’asassa ar-Rissala.

Lutfi, Hoda (1981): Al-Sakhawi’s Kitab al-Nisa’ as a Source for the Social and Economic History of Muslim Women during the fifteenth century a.d. In: The Muslim World, Ausgabe 21. S. 104–124.

Mu’asassa al-Mar’a wa adh-Dhakira/ Women and Memory Forum (2000): Newsletter/ar-Rasa’il adh-Dhakira. Ausgabe 3. http://www.wmf.org.eg/pdf/issue3.pdf.

Roded, Ruth (1994): Women in Islamic Biographical Collections – From Ibn Sa’d to Who’s Who. Boulder, London: Lynne Rienner Publishers.